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Stadtzeitung Żmigród: Neues aus Bargteheide (1)


Christof Leidner hat für die Stadtzeitung Żmigród einen Artikel geschrieben, der dort im Juli erschienen ist. Wir freuen uns, dass Christof uns die deutsche Übersetzung zur Veröffentlichung auf unserer Webseite zu Verfügung gestellt hat.

Neues aus Bargteheide

Sehr geehrte Damen und Herren, viele Jahre lang redigierte der Deutschlehrer Robert Kolebuk unter dieser Überschrift einen Blick durch die Lokalpresse von Bargteheide und Umgebung, d.h. der deutschen Partnerstadt Żmigróds. Leider hat Robert bereits vor einiger Zeit seinen Beruf aufgegeben, wodurch er den Kontakt mit Żmigród verlor. Ich möchte daher die Tradition dieser Kolumnen aufleben lassen und von Zeit zu Zeit über die Ereignisse in meiner Heimatstadt berichten. Als Deutscher werde ich das sicherlich aus etwas anderem Blickwinkel und in einem anderen Stil tun. Ich hoffe jedoch, dass Ihnen meine Berichte über das Bargteheider Geschehen gefallen und dass ich der Herausforderung gewachsen sein werde. Betrachten wir es also als Experiment ... In der ersten Ausgabe geht es, denn anders geht es kaum, ausschließlich um ... das Coronavirus.

  • Das Geschehen im Zusammenhang mit der Corona-Bekämpfung verlief in Polen und in Deutschland parallel, wenngleich um ca. 10 Tage zeitversetzt. Wie ähnlich sich unsere Länder sind, konnte man an den Produkten sehen, die die Menschen nach dem Ausbruch der Epidemie massenhaft zu kaufen begannen: Desinfektionsmittel, Nudeln, Mehl und Hefe und – vor allem – Toilettenpapier. Ehrlich gesagt erinnerten mich die leeren Regale in den Läden an irgendetwas ... hm ... ja richtig! Mit diesem Phänomen war ich schon einmal während meines ersten Besuchs in Polen im April 1989 in Berührung gekommen. Allerdings gab es damals dazu auch noch Lebensmittelmarken für Fleisch. Für jemanden, der wie ich im westeuropäischen Wohlstand aufgewachsen war, war das ein Schock. Zum Glück betraf der Mangel dieses Mal nicht so viele Produkte und die Lage kam schnell in Ordnung.

  • Ein wesentliches politisches Merkmal Deutschlands ist der Föderalismus. Es gibt hier 16 Bundesländer und jedes von ihnen hat seine eigene Regierung mit einem eigenen Gesundheits-, Kultus-, Innenministerium usw. In dieser Krise zeigte sich, dass so eine Struktur Vor- und Nachteile hat. Einerseits konnten die Landesregierungen die notwendigen Maßnahmen besser an die Bedürfnisse der jeweiligen Region anpassen als eine ferne Zentralregierung. Andererseits wetteiferten die Ministerpräsidenten der verschiedenen Bundesländer manchmal darum, wer sich am entschlossensten präsentiert und die schärfsten Maßnahmen einführt, um anschließend in einem Wettkampf darum einzutreten, wer die Beschränkungen am schnellsten lockert. Die absurdesten Anekdoten entstanden dadurch in den Gebieten an den Landesgrenzen. Als Schleswig-Holstein seine Grenzen für Touristen schloss, führte die Polizei Kontrollen durch und schickte die am Stadtrand wohnenden Hamburger zurück, die sich zu einem Spaziergang in den nahe gelegenen Wald außerhalb des Stadtgebiets aufmachen wollten. Kurzzeitig geschah es, dass das Tragen von Masken in dem einen Supermarkt Pflicht war, aber im benachbarten noch nicht, weil sich die Läden in unterschiedlichen Bundesländern befanden. Zum Glück haben die Behörden diesen Unfug schnell korrigiert. Schließlich sind Grenzen doch nur vom Menschen gezeichnete Striche auf der Landkarte.

  • Jetzt (d.h. Ende Juni) ist es Zeit für eine Bilanz der ersten Monate der neuen Wirklichkeit. Nach den täglichen Berichten des Gesundheitsamtes des Kreises Stormarn, zu dem Bargteheide gehört, hat sich die Zahl der Infektionen auf niedrigem Niveau stabilisiert (für einzelne Gemeinden gibt es keine Statistiken). Im ca. 240.000 Einwohner zählenden Kreis Stormarn wurden seit Beginn der Epidemie 420 bestätigte COVID-19-Fälle gezählt, von denen 372 genesen sind. 11 Personen sind in Quarantäne und 4 Patienten in stationärer Behandlung. 33 Menschen sind gestorben. Alle Angaben sind vom 19. Juni. Obwohl jedes Opfer eines zu viel ist, kann man sagen, dass wir durch diesen ganzen Schlamassel einigermaßen hindurch gekommen sind, zumal die Einschränkungen vergleichsweise milde waren.

  • Die Krise hat die Perspektiven und Grenzen des Internets in unserem täglichen Leben deutlich gemacht. Wem es irgend möglich war, hat zu Hause gearbeitet. Als die Läden schließen mussten, stellten viele Ladeninhaber ihr Geschäft auf Telefon- und Internethandel um und lieferten den Kunden die Waren ins Haus. Und die Bargteheider zeigten ihre Solidarität, indem sie diese Angebote wahrnahmen. Die Pastoren der evangelischen Kirchengemeinde hielten täglich auf Youtube Andachten und planen dies künftig fortzusetzen, wenngleich seltener und als Ergänzung zum Gemeindeleben. Im Gymnasium Eckhorst, wo seit 10 Jahren ein Schülerradio betrieben wird, sendeten die Jungredakteure tägliche Sendungen von zu Hause aus. Auf diese Weise entstand eine Dokumentation der Epidemie, die vielleicht in einigen Jahren zu einem zeitgeschichtlichen Dokument werden wird. Das Kleine Theater, das unser Kulturtempel ist, präsentierte zweimal pro Woche den sogenannten Kulturstream – kurze Filme von Auftritten von Künstlern aus dem leeren Theatersaal. Alle diese Beispiele sind unglaublich und zeugen von der Phantasie und der Kreativität der Menschen. Das Internet wird jedoch niemals die zwischenmenschlichen Kontakte ersetzen können, deren Fehlen am schmerzhaftesten die älteren Bewohner von Alten- und Pflegeheimen erfahren haben.

  • Es sind schwierige Zeiten, wenn man ein außergewöhnliches Ereignis, einen Jahrestag oder einen runden Geburtstag begehen möchte. Das musste auch die Partnerstadt von Żmigród erleben. An einem 15. Mai wurden Bargteheide die Stadtrechte verliehen, also genau am selben Tag wie Żmigród. Allerdings geschah dies 717 Jahre später. Alle, die die Geschichte Żmigróds kennen und rechnen können, wissen jetzt, dass Bargteheide genau in diesem Jahr das 50jährige Jubiläum der Stadtwerdung begeht. Die Feierlichkeiten waren bereits geplant und die Gäste (übrigens auch aus den Partnerstädten) eingeladen. Alles war genau vorbereitet. Und dann bewirkt ein kleines Virus, dass alles abgesagt werden musste. Alles? Nicht alles – der Kunstkreis hatte zu diesem Anlass eine Ausstellung geplant, die er jedoch verlegte ... natürlich ins Internet. Seien Sie eingeladen auf https://www.kunstkreis-bargteheide.de/stadtlich/. Und der Rest? Tja, statt des 50jährigen Jubiläums werden wir eben im nächsten Jahr das 51. feiern.

Christof Leidner


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